Notruf in Essen – Rettungsdienst am Limit

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Der Umgang mit Feuerwehr und Rettungsdiensten hat sich in den letzten Jahren immer stärker verändert. Statt zu wirklich wichtigen Notlagen werden sie zu nichtigen Anlässen gerufen und müssen sich zunehmend Beschimpfungen und Angriffen aussetzen. Wir brauchen dringend Korrekturen, um die Rettungskräfte nicht zu verschleißen.

Einsatz nicht nur bei Notfällen

Letztens durfte ich die Feuerwehr in Essen eine Nacht lang begleiten. Kennen Sie noch den Spruch “retten-löschen-bergen-schützen”? Nach dem Besuch hatte ich den Eindruck, dass die Rettungsdienste selbst gerettet werden müssen.

Auf der Leitstelle der Feuerwehr gehen sämtliche Notrufe für die Rettungsdienste ein und jeder von uns kann sicher sein, dass in Notlagen hochspezialisierte Fachkräfte kommen, um uns bei Unfällen zu retten oder bei lebensbedrohlichen Notfällen kompetent zu helfen. Aber die Feuerwehr geht zunehmend auf dem Zahnfleisch, weil Notrufe als Taxiservice und Umgehung der Wartezeiten beim Hausarzt missbraucht werden. Anrufer, die sich nachts um 3:00 Uhr melden, weil sie seit drei Wochen Husten haben, sind keine Seltenheit. Oder jemand der hörbar tippend am Computer sitzt und abliest, was er denn so haben könnte. Die erfahrenen Rettungsdienstler beurteilen dann am Telefon, ob sie den Rettungswagen schicken, denn häufig genug entpuppt sich der Notfall als Bagatelle, für die Technik und Menpower unterwegs waren und damit möglicherweise schlimmeren Fällen nicht mehr zur Verfügung standen.

Verständigungsschwierigkeiten und Wehleidigkeit

Ich komme ja ursprünglich vom Land. Da war es völlig normal, einen Schnitt im Finger erstmal zu säubern und anschließend mit einem Pflaster zu versorgen. Leichtere Sportverletzungen hat man bis zum Arztbesuch am nächsten Tag ertragen oder ist bei schwereren Geschichten von den Vereinskameraden selbst ins Krankenhaus gefahren worden. Auch fiebernde Kinder sind in den allermeisten Fällen kein Drama. Hier hilft ein kühler Kopf der Eltern, Wadenwickel + viel trinken. Natürlich dann am nächsten Tag der Besuch beim Hausarzt, aber da muss man vielleicht warten…


In der Nacht, in der ich mitfahren durfte, habe ich einige Menschen gesehen, die den Rettungsdienst als Servicestelle begriffen haben oder einfach wegen Sprachbarrieren nicht verstanden, dass sie kein wirklicher Notfall sind und deshalb nicht mitgenommen werden konnten. Enttäuschte Erwartungen schlagen aber leider häufig in schlechte Manieren um.

Tim und Vossi von der Feuerwehr Essen zeigten mir Essen bei Nacht

Rettungsdienstler mit viel Herz – und Grenzen!

Wenn Seniorinnen oder Senioren in der Wohnung stürzen, die Treppe herunterfallen oder nachts im Seniorenheimen aus Krankheitsgründen nicht friedlich in ihren Betten schlafen, sondern sich den Schädel anschlagen, sind die beiden Notfallsanitäter, mit denen ich gefahren bin, nicht nur medizinische Profis, sondern so herzlich und vertrauenswürdig mit den Patienten und Patientinnen, dass diese einigermaßen beruhigt sind. Aber es wird für die Rettungskräfte schwierig, sich für die Menschen einzusetzen, wenn Betrunkene pöbeln und um sich schlagen, Idioten Feuerwerkskörper auf sie werfen oder dauerhupend hinter dem Rettungswagen stehen, weil der gerade aus gutem Grund mitten auf der Straße steht. Was geht in diesen Leuten vor?

Zusätzliche Probleme durch Fachkräftemangel im Krankenhaus

Essens Krankenhäuser haben ebenfalls zunehmend mit dem Fachkräftemangel zu kämpfen. Und eine Maßnahme, um den Druck herauszunehmen, ist das Abmelden der Notfallstationen. So fährt der Rettungsdienst oft nicht zum nächstgelegenen Krankenhaus, sondern zu der Stelle, die noch Patienten annimmt. Die Schließung von Krankenhäusern im Essener Norden und die Planungen der Landesregierung, weitere Hospitäler zuzumachen, führt dazu, dass die Wege mit Notfallpatienten immer länger werden.

Lernen für den Notfall – Übung ist alles

Wir brauchen dringend eine durchgreifende Information mitsamt Notfall-Übungen für die Bevölkerung vor allem in den Großstädten. Auf dem Land sind viele Einwohner bereits in freiwilliger Feuerwehr, THW oder anderen Diensten engagiert und wissen, wie man sich verhält. Die häufigen Übungen sind hier Garant für ein gutes Zusammenspiel der helfenden Hände. Im Ruhrgebiet mit seinen großen Städten ist das häufig anders: Berufsfeuerwehren übernehmen sehr viel, gemeinsame Übungen mit der Bevölkerung sind nicht vorgesehen, Sprachbarrieren und zunehmende Aggression gegen Rettungskräfte tun ihr Übriges. Aber auch in den Großstädten gibt es freiwillige Feuerwehrleute, die ehrenamtlich Lösch- und Rettungsaufträge übernehmen. In den dortigen Kinder- und Jugendgruppen wird trainiert und geschult und auch später immer weiter an der Technik gefeilt.

Freiwillige Feuerwehr Stoppenberg; Foto: Lukas Birkner

Was Hänschen nicht lernt – wird als Hans Probleme machen

Es muss bereits in der Kita und Grundschule spielerisch und praktisch unterrichtet werden, wie man Verletzungen behandelt, wann man zum Hausarzt geht und wann man den Rettungsdienst alarmiert, wie schwerwiegendere Notfälle richtig eingeschätzt werden und wie die Rettungskette läuft! Es gibt bereits jetzt viele gute Ansätze für genau solche Programme – wir müssen sie aber ausbauen und stärker verankern! Auch Erwachsene sollten nicht nur beim Erwerb des Führerscheins einen “Erste-Hilfe-Kurs” vorweisen müssen, sondern auch weiterhin ihre Kompetenz durch öffentliche Übungen frisch halten und routinieren. Dann kommen auch weniger Leute auf den Gedanken, wegen eines Schnitts im Finger den Notruf zu bemühen.

Weniger Bagatellfälle = mehr Kraft für echte Notfälle

Wenn wir es durch gemeinsame Anstrengungen schaffen, die Menschen fitter für die eigene Versorgung zu machen, wären die Rettungskräfte weniger mit Bagatellfällen beschäftigt und könnten sich um die wirklich wichtigen Notfälle kümmern. Die Krankenhäuser wären ebenfalls mit echten Patienten beschäftigt und nicht mit denen, die den Tag über zu beschäftigt waren, zum Hausarzt zu gehen. Das wird sich auch über kurz oder lang bei den Kosten im Gesundheitssystem zeigen.

Retten wir den Rettungsdienst 

Der Rettungsdienst braucht selbst Rettung! Das schaffen wir nur, wenn wir die Menschen bereits sehr früh in der Notfallversorgung schulen und fit machen. Regelmäßige Übungen und Auffrischungen entlasten die Feuerwehren, Rettungsdienste und Krankenhäuser. Dazu müssen Feuerwehren, Hilfsdienste, Schulen, Krankenhäuser und Verwaltungen zusammenarbeiten. Das ist ein ziemlich dickes Brett, aber es lohnt sich, hier dranzubleiben.